Traumasensibilität an Schulen

Einleitung
In einer Zeit, in der das Bewusstsein für psychische Gesundheit zunehmend an Bedeutung gewinnt und die Traumaforschung jedes Jahr an Erkenntnissen wächst, wird das Konzept der Traumasensibilität in Schulen immer wichtiger.
„In der heutigen Zeit, geprägt von globalen Konflikten und Flüchtlingsbewegungen, finden sich in Schulen zunehmend Kinder, die Kriegs- und Fluchttraumata erlebt haben.“
Dies unterstreicht die immense Wichtigkeit einer traumasensiblen Herangehensweise im schulischen Umfeld.
„Es ist jedoch wichtig zu erkennen, dass nicht nur ausgeprägte Monotraumata die Notwendigkeit einer Traumaarbeit begründen. Vielmehr ist diese Arbeit auch im Umgang mit allen Kindern von unschätzbarem Wert, da jedes Kind in unterschiedlichem Masse seine eigenen Traumaerfahrungen mit sich trägt.“

Vor wenigen Tagen besuchte ich die Ausbildung „Trauma und neue Autorität“, geleitet von Herwig Thele. Sie bot tiefe Einblicke in die Welt des Traumas und dessen Umgang, speziell im schulischen Kontext.
Die Relevanz dieser Konzepte wurde für die Begleitung sowohl traumatisierter als auch nicht-traumatisierter Kinder betont. Trauma wurde als ein allgegenwärtiger Fakt des Lebens betrachtet, wobei jeder Mensch in seinem Leben einschneidende Ereignisse erlebt.
Was ist ein Trauma?
Trauma wird als eine starke emotionale Erinnerung definiert, die die Fähigkeit zur Verarbeitung übersteigt.
Es gibt verschiedene Arten von Trauma:
- das Monotrauma: ein einzelnes, überwältigendes Ereignis
- und das chronische Trauma, auch bekannt als Bindungstrauma
Diese Unterscheidung ist entscheidend, um zu verstehen, wie Kinder und Jugendliche Traumata in der Schule erleben und verarbeiten.
Die Rolle der Schule
Schulen spielen eine zentrale Rolle in der Entwicklung von Kindern und Jugendlichen. Sie sind nicht nur Orte des Lernens, sondern auch des sozialen und emotionalen Wachstums. Eine traumasensible Schulumgebung erkennt die Auswirkungen von Traumata auf das Lernen und das Verhalten und bietet einen sicheren, unterstützenden Raum für alle Schüler.
Die nachstehenden Erkenntnisse erweisen sich als besonders wertvoll, wenn Schülerinnen und Schüler Extremverhalten zeigen, dass unser übliches pädagogisches Handwerkszeug übersteigt und uns selbst in einen Zustand der Hilflosigkeit führt.
Prinzipien der Traumasensibilität
Verständnis der Schutzmauer
Jede*r Schüler*in hat eine metaphorische Schutzmauer um seinen/ihren verletzlichsten Teil. Diese Mauer besteht aus verschiedenen Bausteinen wie Verweigerung, Flucht und Vermeidung, Risikoverhalten, Somatisieren (körperliche Beschwerden wie Bauch- oder Kopfschmerzen), Opferhaltung, sowie Dominanz (unterschieden in narzisstische oder antisoziale Dominanz).

Lehrpersonen müssen lernen, diese Mauern zu erkennen und versuchen, die Schutzmauer flexibel zu halten.
„Zeigt ein Kind Extremverhalten ist wichtig, dass wir erkennen, ob sich das Kind gerade in einer Krise befindet, oder ob es sein Alltagsverhalten zeigt.“
Der Krise die Bedeutung nehmen
Unser Fokus sollte darin liegen, am Alltagsverhalten zu arbeiten, um Krisen vorzubeugen. Und nicht krisenvermeidend arbeiten. Denn: eine Krise ist nicht der Massstab aller Dinge und man lernt in einer Krise wenig über den Menschen. Wenn wir den Fokus auf die Krise setzen, trübt sie den Blick auf einen Menschen.
„Wir sollten nicht krisenvermeidend, sondern persönlichkeitsstärkend arbeiten, was auch krisenvermeidend ist.“
Das Ziel in der Begleitung ist es, diesen geschützten, berührenden Anteil zu erreichen. Hierbei wird im ersten Schritt die tragische Haltung eingenommen.
Tragische Haltung
„Ein Schlüsselkonzept ist die „tragische Haltung“. Diese Haltung beinhaltet, das Gefühl des Kindes oder Jugendlichen zu achten, bei sich selbst zu bleiben und keine Lösungen aufzuzwingen.“
Diese Herangehensweise ermöglicht es Lehrern, empathisch und unterstützend zu reagieren, ohne sich in die Probleme der Schüler hineinziehen zu lassen.
Der gewaltlose Widerstand
In einem dritten Schritt wird eine Erwartung formuliert, jedoch so, dass sie nicht begrenzend ist.
„Eine einengende Erwartung triggert das Trauma erneut, da ja auch da die Engeerfahrung gemacht wurde.“
Beispiel einer nicht einengenden Erwartung an jemanden, der die Schule verweigert.
“Ich erwarte, dass du in die Schule gehst oder etwas anderes machst, bei dem du viel lernst.”
Herwig Thelen betonte die Wichtigkeit eines unaufgeregten, normalen Umgangs mit Fortschritten (das erfüllen der Erwartung, die Kooperation):
„Wenn das Kind oder der Jugendliche auf die nicht einengende Erwartung eingeht, erfolgt keine übermäßige Lobpreisung oder besondere Aufmerksamkeit. Stattdessen wird eine unspektakuläre Normalität angestrebt.“
Dieser Ansatz dient der Würdigung des Fortschritts in einer angemessenen, nicht überhöhten Weise und unterstreicht die Bedeutung von Gelassenheit und Normalität im Umgang mit Verhaltensänderungen, was zur Stärkung des Selbstvertrauens und der Selbstwirksamkeit des Kindes oder Jugendlichen beitragen kann.

Wachsame Sorge
Die wachsame Sorge beschreibt, wie Lehrkräfte Beziehungen mit ihren Schülern gestalten können. Dabei ist wichtig zu verstehen, dass wir mit Schüler*innen in einer Verantwortungsbeziehung stehen: Die Lehrperson hat mehr Macht und damit mehr Verantwortung.

Umsetzung in der Schule
„Die Umsetzung der Traumasensibilität in der Schule erfordert eine Kulturveränderung. Dies bedeutet eine Abkehr von rein leistungsorientierten Ansätzen hin zu einem prozessorientierten Ansatz, der den Schwerpunkt auf die langfristige emotionale und psychologische Entwicklung der Schüler legt.“
Die erfolgreiche Umsetzung von Traumasensibilität in Schulen erfordert mehrere Schlüsselkomponenten, die sowohl Lehrpersonen als auch Schulen und Teams einbeziehen:
Ausbildung und Bewusstsein
- Fortbildung für Lehrpersonen: Lehrpersonen sollten in Traumabewusstsein und -management geschult werden. Dies umfasst das Erkennen von Traumasymptomen, angemessene Reaktionsweisen und Interventionsstrategien.
- Verständnis für Trauma: Ein umfassendes Verständnis für die verschiedenen Formen von Trauma – von Monotrauma bis hin zu chronischen Traumata – ist wesentlich.
Unterstützende Strukturen
- Einrichtung von Unterstützungssystemen: Schulen sollten spezialisierte Unterstützungsteams haben, die bei der Bewältigung von Traumafällen unterstützen können.
- Zugang zu psychologischer Beratung: Regelmässige Verfügbarkeit von qualifizierten Schulpsychologen und Beratern, die sowohl Schülern als auch Lehrern zur Seite stehen.

Kommunikation und Zusammenarbeit
- Kooperation mit Eltern und Betreuern: Aktive Einbeziehung der Eltern in die schulischen Prozesse und enge Zusammenarbeit bei der Unterstützung der Kinder.
- Interdisziplinäre Teams: Bildung von Teams, die Lehrpersonen, Schulpsychologen, Sozialarbeiter und eventuell externe Experten umfassen, um einen ganzheitlichen Ansatz zu gewährleisten.
Kultur und Klima
- Förderung einer inklusiven und empathischen Schulkultur: Erschaffung einer Umgebung, in der sich alle Schüler*innen sicher und verstanden fühlen.
- Prozessorientierter Ansatz: Ein Fokus auf die individuelle Entwicklung jedes Kindes, anstatt ausschliesslich auf akademische Leistungen.
Die Umsetzung dieser Massnahmen erfordert Engagement und Ressourcen, aber die positive Auswirkung auf das Wohlergehen und die Entwicklung der Schüler*innen kann immens sein. Traumasensibilität in Schulen trägt dazu bei, eine unterstützende und förderliche Lernumgebung zu schaffen, in der alle Kinder gedeihen können.
Fazit
Traumasensibilität in Schulen ist kein einfaches Unterfangen, aber sie ist von entscheidender Bedeutung. Sie erfordert eine tiefgreifende Veränderung in der Art und Weise, wie wir Bildung und Schülerbetreuung verstehen. Durch das Einführen von Konzepten wie der tragischen Haltung und der wachsamen Sorge können Schulen zu Orten werden, an denen nicht nur Wissen, sondern auch emotionales Wachstum und Resilienz gefördert werden.
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